The Stoltenberg Institute: Rotary Keokuk Peace Letters, 1931-2031 & 1848er Studies & Videos & Books

HEL­DEN - Das Erbe der Forty-Eighters (1848er Denkmal in Berlin!?)

by Unknown Author - February 14, 2016

Deutsche waren Mitgründer der Republikanischen Partei, die sich jetzt Donald Trump zu Füßen legt. Eine deutsch-amerikanische Geschichte über Freiheitsdrang.

Als Carl Schurz zum ers­ten Mal auf Abra­ham Lin­coln trifft, ist er über­rascht: „Er trug“, schreibt Schurz, „auf sei­nem Kop­fe ei­nen et­was zer­knit­ter­ten Zy­lin­der­hut. Sein lan­ger, seh­ni­ger Hals rag­te aus ei­nem Hemd­kra­gen em­por, der über eine schma­le, schwar­ze Hals­bin­de zu­rück­ge­klappt war.

Sei­ne ha­ge­re, un­ge­schlach­te Ge­stalt war von ei­nem schwar­zen, schon et­was schä­bi­gen Frack be­klei­det, mit Ärmeln, die län­ger hät­ten sein sol­len. Sei­ne schwar­zen Bein­klei­der ge­stat­te­ten den vol­len An­blick sei­ner gro­ßen Füße.“

Schurz, ge­bo­ren im rhei­ni­schen Li­blar, ist „in Wa­shing­ton und im Wes­ten Män­nern im öf­fent­li­chen Le­ben be­geg­net, de­ren Äuße­res un­ge­schlif­fen war, doch kei­nem, des­sen Er­schei­nung ganz so un­ge­schickt, um nicht zu sa­gen gro­tesk war, wie Lin­colns“.

Je­ner Lin­coln gilt heu­te als der größ­te Prä­si­dent, den die Ver­ei­nig­ten Staa­ten je hat­ten, weil er die Uni­on im Kampf ge­gen die ab­trün­ni­gen Süd­staa­ten zum Sieg führ­te. Sein Freund und Ver­bün­de­ter war der Deut­sche Carl Schurz. In ei­nem Brief schrieb er spä­ter: „Man sagt mir nach, daß ich Lin­coln zum Prä­si­den­ten ge­macht.“ Ko­kett fügt er hin­zu: „Das ist nun ge­wiss nicht wahr; aber daß man mir's nach­sagt, zeigt wohl, daß ich Ei­ni­ges dazu bei­trug.“

Lin­coln war 1860 und 1864 Kan­di­dat der Re­pu­bli­ka­ner, die sich nun, mehr als 150 Jah­re spä­ter, an­schi­cken, Do­nald Trump in die­se Rol­le zu wäh­len. So tief ist die­se Par­tei ge­sun­ken. Sie war einst mit den edels­ten Ab­sich­ten ge­grün­det wor­den: ge­gen die Skla­ve­rei, für die Frei­heit. Jetzt legt sie sich wahr­schein­lich ei­nem Mann zu Fü­ßen, der sich ras­sis­tisch äu­ßert und Po­li­tik nach Wirts­haus­art be­treibt. Trump wird zum To­ten­grä­ber die­ser einst so stol­zen Par­tei.

Deutsch­land geht das eine Men­ge an, nicht nur, weil wir in Zu­kunft in ei­ner Trump-Welt le­ben könn­ten. Auch weil ein Teil der bes­ten deut­schen Tra­di­tio­nen in die­ser re­pu­bli­ka­ni­schen Par­tei steckt. Das liegt an Carl Schurz, aber auch an Fried­rich He­cker, Gus­tav Struve, Franz Si­gel. Lei­der ist das weit­ge­hend ver­ges­sen, so wie die­se her­vor­ra­gen­den Män­ner weit­ge­hend ver­ges­sen sind.

Als Frei­heits­hel­den ver­eh­ren die Deut­schen Stauf­fen­berg, die Ge­schwis­ter Scholl oder den Krei­sau­er Kreis, den Wi­der­stand ge­gen Hit­ler also. Aber es gab schon da­vor un­ge­stü­men Frei­heits­drang in Deutsch­land, beim Re­vo­lu­ti­ons­ver­such von 1848, an dem Schurz, He­cker, Struve, Si­gel be­tei­ligt wa­ren. Da­nach emi­grier­ten sie in die USA und kämpf­ten ein zwei­tes Mal für die Frei­heit, dies­mal nicht für die ei­ge­ne, son­dern für die der Skla­ven, als Mit­grün­der oder frü­he Ak­ti­vis­ten der Re­pu­bli­ka­ni­schen Par­tei. Im Bür­ger­krieg wa­ren alle vier Of­fi­zie­re der Uni­on. Ihre Le­bens­ge­schich­ten sind deutsch-ame­ri­ka­ni­sche Er­zäh­lun­gen über Frei­heits­drang und De­mo­kra­tie.

Fried­rich He­cker, ge­bo­ren 1811, ar­bei­tet als Ju­rist und Po­li­ti­ker im Groß­her­zog­tum Ba­den, als im Fe­bru­ar 1848 eine Re­vo­lu­ti­on in Frank­reich aus­bricht. Der Fun­ke springt über den Rhein, He­cker will De­mo­kra­tie und Frei­heit nun auch in sei­ner Hei­mat durch­set­zen, wie vie­le an­de­re Deut­sche. Mit Gus­tav Struve, ge­bo­ren 1805, eben­falls Ju­rist und Po­li­ti­ker, zieht er ins Frank­fur­ter Vor­par­la­ment ein, aber schon bald wie­der aus, weil die Mehr­heit nicht so ra­di­kal ist wie er und Struve.

Am 12. April ruft He­cker in Kon­stanz zu ei­nem Re­vo­lu­ti­ons­zug auf. Mit bis zu 80 000 Kämp­fern ha­ben er und Struve ge­rech­net. Als He­cker am Tag dar­auf ei­nen Marsch auf die ba­di­sche Re­si­denz­stadt Karls­ru­he be­ginnt, fol­gen ihm Photo: Carl Schurz 52 Män­ner, be­rich­tet Struve in sei­ner „Ge­schich­te der drei Volks­er­he­bun­gen in Ba­den“. Den Bür­gern ist das Herz in die Hose ge­rutscht. Struve: „Jetzt mach­ten wir aber frei­lich die lei­di­ge Er­fah­rung, daß vie­le von Den­je­ni­gen, wel­che frü­her am meis­ten ge­schrie­en und ge­trie­ben hat­ten, sehr klein­laut ge­wor­den wa­ren.“

Ein paar Hun­dert Bau­ern und Bür­ger schlie­ßen sich un­ter­wegs noch an, aber das reicht nicht. Bei Kan­dern un­ter­liegt He­ckers klei­ner Trupp bei ei­nem Schar­müt­zel Re­gie­rungs­sol­da­ten. He­cker flieht über den Rhein. Nicht bes­ser er­geht es Struve und dem ehe­ma­li­gen Leut­nant Franz Si­gel, ge­bo­ren 1824, als sie Frei­burg er­obern wol­len. Auch sie müs­sen flie­hen.

Am 21. Sep­tem­ber 1848 macht Struve ei­nen neu­en Ver­such und ruft in Lör­rach die Re­pu­blik aus. Wie­der ist der Rück­halt zu schwach. So rich­tig frei­heits­be­seelt sind die Deut­schen nicht. Am liebs­ten wäre ih­nen, die Fürs­ten hät­ten die Re­vo­lu­ti­on ge­neh­migt. Ha­ben sie aber nicht. Struve lan­det im Ker­ker, wird je­doch be­freit.

Im Früh­ling 1849 nimmt die deut­sche Re­vo­lu­ti­on ei­nen neu­en An­lauf. In Bonn schließt sich Carl Schurz, ge­bo­ren 1829, Stu­dent, den 120 Bür­gern an, die das Sieg­bur­ger Zeug­haus stür­men wol­len, um Waf­fen für den Kampf ge­gen die preu­ßi­schen Re­gie­rungs­trup­pen ein­zu­sam­meln. „Ich ließ al­les lie­gen, wie es eben lag, kehr­te der Ver­gan­gen­heit den Rü­cken und ging mei­nem Schick­sal ent­ge­gen“, schreibt er in sei­nen „Le­bens­er­in­ne­run­gen“, die der Wall­stein Ver­lag im ver­gan­ge­nen Herbst in ei­ner wun­der­schö­nen Aus­ga­be neu her­aus­ge­ge­ben hat. Es ist ein gro­ßer Satz über die Kraft der Frei­heit. Für sie ris­kiert Schurz al­les.

Der Marsch nach Sieg­burg wird ein De­sas­ter. Die Auf­stän­di­schen sind von 34 her­an­rei­ten­den Dra­go­nern so ver­schreckt, dass sie ih­ren Plan auf­ge­ben. „Ein lä­cher­li­cher, schmach­vol­ler Aus­gang“, schreibt Schurz. Ein Zu­rück in das alte Le­ben gibt es für ihn nicht mehr. Er wan­dert erst in die Pfalz und dann ins ba­di­sche Ras­tatt, die letz­te Bas­ti­on der Re­vo­lu­ti­on. Die Stadt wird bald von den Preu­ßen be­la­gert, un­ter Füh­rung des „Kar­tät­schen­prin­zen“ Wil­helm, spä­ter der ers­te deut­sche Kai­ser. Am 23. Juli ge­ben die Re­vo­lu­tio­nä­re auf, Schurz flieht durch ei­nen Ab­was­ser­ka­nal und lan­det im Schwei­zer Exil.

Es fällt ihm nicht ein, hier zu ver­gam­meln. Als er hört, dass sein Uni­ver­si­täts­leh­rer Gott­fried Kin­kel we­gen re­vo­lu­tio­nä­rer Um­trie­be im Span­dau­er Zucht­haus ge­lan­det ist, ris­kiert er wie­der al­les, dies­mal für die Frei­heit von Kin­kel. Er reist in­ko­gni­to nach Preu­ßen, wo ihm die To­des­stra­fe droht, und lässt Geld sam­meln, um Kin­kel zu be­frei­en. Da­mit be­sticht er den Ge­fäng­nis­wär­ter Ge­org Bru­ne. Kin­kel und Schurz flie­hen über das Meer und lan­den zu­nächst in Edin­burgh, dann in Lon­don. Schurz zieht wei­ter in die USA. He­cker, Struve und Si­gel sind schon dort.

Schurz reist bald nach Wa­shing­ton und sieht sich im Kon­gress um. Er stellt fest: „Lei­der war das Kau­en von Ta­bak mit sei­nen Be­gleit­erschei­nun­gen noch sehr ge­bräuch­lich.“ Zu­dem: „Rekeln auf zu­rück­ge­wipp­ten Stüh­len und das Auf­le­gen der Füße auf das Pult“. Ame­ri­ka­ni­sche Frei­hei­ten, für Deut­sche manch­mal be­fremd­lich.

In sei­nen Er­in­ne­run­gen ana­ly­siert Schurz Po­li­tik und Bü­ro­kra­tie in den USA und wirkt in die­sen Pas­sa­gen wie ein klei­ner Toc­que­vil­le. Al­exis de Toc­que­vil­les Ana­ly­se von 1835 „Über die De­mo­kra­tie in Ame­ri­ka“ aus fran­zö­si­scher Sicht ist bis heu­te ein Stan­dard­werk. Schurz fin­det, dass der öf­fent­li­che Dienst in ei­nem lie­der­li­chen Zu­stand ist.

Im Ok­to­ber 1854 be­sucht er den ehe­ma­li­gen Re­vo­lu­ti­ons­füh­rer He­cker in des­sen „Block­haus von sehr pri­mi­ti­vem Aus­se­hen“ in Bel­le­vil­le, Il­li­nois. He­cker ist ei­ner der „La­tin far­mers“ ge­wor­den, ei­ner der Im­mi­gran­ten, die hoch­ge­bil­det sind und La­tei­nisch spre­chen kön­nen, sich im Exil aber mit dem Acker­bau ab­pla­gen müs­sen, um über die Run­den zu kom­men.

Der einst so schmu­cke He­cker, der für sei­nen Fe­der­hut und die ho­hen Stie­fel be­rühmt war, bie­tet ei­nen „kläg­li­chen An­blick“, schreibt Schurz. Er sieht „ein grau­wol­le­nes Hemd, lose, ab­ge­tra­ge­ne Bein­klei­der und ein paar alte Tep­pich­pan­tof­feln“. Das Ge­sicht fin­det er „ein­ge­fal­len, blaß und müde“. Der Star der deut­schen Re­vo­lu­ti­on, über den man in der Hei­mat Lie­der singt, ist zur trau­ri­gen Fi­gur ver­kom­men.

So bleibt es nicht. Den deut­schen Forty-Eigh­ters, wie sie in den USA ge­nannt wer­den, den Acht­und­vier­zi­gern, wächst just zu je­ner Zeit eine neue Auf­ga­be zu. Wie­der ist ihr Frei­heits­drang ge­for­dert.

Die Süd­staa­ten be­trei­ben Skla­ve­rei, die Nord­staa­ten nicht. Was ist mit den Ter­ri­to­ri­en, die im Wes­ten Ame­ri­kas neu er­schlos­sen wer­den? Das Kan­sas-Ne­bras­ka-Ge­setz sagt: Die Skla­ve­rei ist auch hier er­laubt. Nun reicht es vie­len im Nor­den. Sie grün­den eine neue Par­tei, die Re­pu­bli­ka­ner. Die Forty-Eigh­ters sind da­bei.

He­cker schreibt ei­nem Be­kann­ten: „Wir Deutsch-Ame­ri­ka­ner-Flücht­lin­ge kön­nen nicht für die Aus­brei­tung der Skla­ve­rei ge­hen; wir be­schimp­fen un­se­re Ver­gan­gen­heit, die Fah­ne un­ter der wir ge­foch­ten und un­se­re Brü­der ge­stor­ben sind, wir ent­eh­ren die Grä­ber un­se­rer stand­recht­lich Ge­mor­de­ten.“ Den Brief hat Sa­bi­ne Frei­tag für ihre Dis­ser­ta­ti­on „Fried­rich He­cker. Bio­gra­phie ei­nes Re­pu­bli­ka­ners“ aus­ge­gra­ben.

Rund drei Mil­lio­nen Deut­sche le­ben zu je­ner Zeit in den USA. He­cker und Schurz sol­len sie für die Re­pu­bli­ka­ner ge­win­nen. Sie rei­sen durch den Mitt­le­ren Wes­ten und den Nor­den und hal­ten Re­den vor Hun­der­ten, vor Tau­sen­den. He­cker, schon seit Stu­den­ten­zei­ten „der kras­se He­cker“ ge­nannt, ist sich nicht zu scha­de, zu­sam­men mit dem Im­mi­gran­ten Gus­tav Kör­ner auf­zu­tre­ten. Als Stu­den­ten hat­ten sie sich du­el­liert. Jetzt zählt nur noch die Par­tei. Schurz: „Ich glau­be, es kann ohne Über­trei­bung ge­sagt wer­den, daß es nie­mals in der Ge­schich­te die­ser Re­pu­blik eine po­li­ti­sche Be­we­gung ge­ge­ben hat, in wel­cher das rein mo­ra­li­sche Mo­tiv so stark – ja so vor­herr­schend und ent­schei­dend war.“ Von den Re­pu­bli­ka­nern ist die Rede. Kaum zu glau­ben.

Aber die Par­tei in Grün­dung macht es den Deut­schen nicht leicht. Sie hat ei­nen na­ti­vis­ti­schen Flü­gel von in den USA ge­bo­re­nen Nicht­ka­tho­li­ken, die sich von den Im­mi­gran­ten über­frem­det füh­len. Die Pro­ble­me sind of­fen­bar in al­len Zei­ten ähn­lich. Die Deut­schen sind nicht be­son­ders as­si­mi­lie­rungs­wil­lig, sie spre­chen gern deutsch mit­ein­an­der und le­sen deutsch­spra­chi­ge Zei­tun­gen, das „Bel­le­vil­ler Volks­blatt“, die „Il­li­nois Staats­zei­tung“, die „New Yor­ker Abend­zei­tung“, den „An­zei­ger des Wes­tens“ in St. Lou­is.

Die dar­über em­pör­ten Na­ti­vis­ten der Re­pu­bli­ka­ni­schen Par­tei or­ga­ni­sie­ren sich in Lo­gen und nen­nen sich die Know-Not­hings, denn das soll ihre Ant­wort sein, wür­den sie nach ih­ren Um­trie­ben be­fragt: I know not­hing, ich weiß nichts. Es gibt eine frem­den­feind­li­che Tra­di­ti­on, in der der Know-Not­hing Trump steht.

Die Forty-Eigh­ters las­sen sich nicht be­ir­ren. „Zum Maul­korb ist mei­ne Schnaut­ze zu un­ge­stal­tet“, schreibt He­cker spä­ter an Schurz. Sein Block­haus brennt zum Teil nie­der. Er ver­mu­tet Brand­stif­tung, ob von An­hän­gern der De­mo­kra­ten, die für die Skla­ve­rei ein­tre­ten, oder von Know-Not­hings, weiß man nicht.

Im Jahr 1860 zie­hen die Forty-Eigh­ters für Abra­ham Lin­coln in den Wahl­kampf. Kurz nach sei­nem Sieg be­la­gern Re­bel­len das Bun­des­fort Sum­ter in South Ca­ro­li­na, der Bür­ger­krieg bricht aus, elf Süd­staa­ten ge­gen die Uni­on, Freun­de der Skla­ve­rei ge­gen Freun­de der Frei­heit für alle.

Für die Forty-Eigh­ters ist klar, was sie zu tun ha­ben. Fried­rich He­cker ver­lässt sei­ne Farm in Bel­le­vil­le und wird Sol­dat. Franz Si­gel, der Ober­leh­rer ist, ver­lässt sei­ne Schu­len in St. Lou­is und wird wie­der Sol­dat. Gus­tav Struve, der an ei­ner „Welt­ge­schich­te“ aus so­zia­lis­ti­scher Sicht schreibt, lässt die Fe­der fal­len und wird Sol­dat. Carl Schurz, der von Lin­coln zum Bot­schaf­ter der USA in Spa­ni­en er­nannt wur­de, hält es dort nicht lan­ge aus und wird Sol­dat. Sie sind jetzt Yan­kees, also Kämp­fer für die Uni­on. Die­sen Deut­schen ist klar, dass Men­schen­rech­te nichts tau­gen, wenn sie nicht für alle Men­schen gel­ten.

Über 200 000 Deutsch­stäm­mi­ge sol­len auf­sei­ten der Uni­on ge­foch­ten ha­ben. He­cker führt erst das 24. Il­li­nois Re­gi­ment, dann das 82. Il­li­nois Re­gi­ment. Es ist Teil des XI. In­fan­te­rie­korps der Army of the Po­to­mac, das zeit­wei­se von Ge­ne­ral­ma­jor Franz Si­gel kom­man­diert wird. Die 3. Di­vi­si­on des Korps be­feh­ligt Bri­ga­de­ge­ne­ral Carl Schurz, spä­ter eben­falls Ge­ne­ral­ma­jor. Vie­le ih­rer Män­ner sind Deut­sche.

Die Sol­da­ten sin­gen auf ih­ren Mär­schen ein Lied in ei­nem herz­zer­rei­ßen­den Deng­lisch, avant la lett­re. Es heißt: „I'M GO­ING TO FIGHT MIT SI­GEL“, ich kämp­fe für Si­gel. Aus­zug aus dem Text, der in ge­nau die­ser Or­tho­gra­fie auf­ge­schrie­ben wur­de:

„Dem Deuts­hen mens, mit Si­gel's band,
At fight­ing have no ri­val,
Un ven Cheff Da­vis' mens we meet,
Ve schlauch' em like de tuy­vil;
De­re's only von ting vot I fear,
Ven patt­ling for de Ea­gle,
I vont get not no la­ger bier,
Ven I goes to fight mit Si­gel.“

Jef­fer­son Da­vis ist der Ge­gen­prä­si­dent der Süd­staa­ten, der Ea­gle, der Ad­ler, das Zei­chen der Uni­on. Den Rest muss man sich zu­sam­men­rei­men. Ist klar, dass die Deut­schen nur eine Sa­che fürch­ten: dass es kein Bier gibt. Doch jetzt kommt die Über­ra­schung: Die­se Män­ner pas­sen nicht in das ewi­ge Hel­den­lied, das auf deut­sche Sol­da­ten ge­sun­gen wird. Nach der ver­lo­re­nen Schlacht von Chan­cellors­vil­le im Mai 1863 ver­brei­tet sich der Ver­dacht, das XI. In­fan­te­rie­korps habe sich zu de­fen­siv ver­hal­ten. Es ist nicht zu klä­ren, ob dies die Wahr­heit oder eine In­tri­ge na­ti­vis­ti­scher Ge­ne­rä­le ist. Die Dutch­men, da­mals ein Wort für Deut­sche, gel­ten ih­nen nun als „run­ning dutch­men“.

Schurz und Si­gel lei­den wie Hun­de un­ter die­ser Un­ter­stel­lung. He­cker ist durch eine Ver­wun­dung am Bein ge­recht­fer­tigt, die er sich in der Schlacht von Chan­cellors­vil­le zu­ge­zo­gen hat. Schurz schil­dert die Si­tua­ti­on so: „Mein al­ter Freund aus den Re­vo­lu­ti­ons­ta­gen, Oberst He­cker, hat­te die Fah­ne sei­nes Re­gi­ments er­grif­fen, um ei­nen An­griff mit ge­fäll­tem Ba­jo­nett an­zu­füh­ren; auch er wur­de von ei­ner feind­li­chen Ku­gel ge­trof­fen und ver­wun­det hin­ter die Front ge­tra­gen.“ Ein biss­chen ge­flun­kert ist das schon. In der Re­vo­lu­ti­ons­zeit kann­ten sich Schurz und He­cker nicht.

Bei der Schlacht von Get­tysburg sind bei­de wie­der an der Front. Die Uni­ons­ar­mee siegt, siegt auch bei Chat­ta­noo­ga, wo heu­te Volks­wa­gen eine arg ge­beu­tel­te Fa­brik be­treibt, sie nimmt At­lan­ta und die Haupt­stadt Richmond ein. An­fang April 1865 ist der Sü­den ge­schla­gen. Am 14. April er­schießt der Schau­spie­ler John Wil­kes Booth den Prä­si­den­ten Abra­ham Lin­coln in ei­nem Thea­ter von Wa­shing­ton, D. C. Doch die USA sind wie­der ver­eint.

Für die Forty-Eigh­ters geht der Kampf wei­ter. Die Frei­heit bleibt be­droht, nun ist es die Frei­heit zum Bier­trin­ken. Die Tem­pe­renz­ler set­zen den Deut­schen zu, pu­ri­ta­ni­sche Ame­ri­ka­ner, die den Ge­nuss von Al­ko­hol ver­bie­ten wol­len. Na­tur­ge­mäß ha­ben ei­ni­ge Deut­sche in den USA so­fort Braue­rei­en ge­grün­det. Auch die­ser Kampf wird zu­nächst ge­won­nen. Als die Re­pu­bli­ka­ner im­mer kon­ser­va­ti­ver wer­den, en­ga­gie­ren sich He­cker und Schurz für eine li­be­ra­le Platt­form in der Par­tei. Was heu­te eben­falls eine Wohl­tat wäre.

He­cker kehrt auf sei­ne Farm zu­rück und tin­gelt ne­ben­bei als Red­ner durchs Land. In sei­nem Vor­trag „Weib­lich­keit und Wei­ber­rech­te­lei“ po­le­mi­siert er ge­gen po­li­ti­sche Rech­te für Frau­en. Die Welt der Po­li­tik ist da­mals nur eine hal­be. Mit Aus­nah­men. Struve war mit sei­ner Frau Ama­lie in die ba­di­sche Re­vo­lu­ti­on ge­zo­gen und sprach sich für das Frau­en­wahl­recht aus.

Schurz reist 1867/​68 nach Deutsch­land und trifft zwei­mal den preu­ßi­schen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Bis­marck, an des­sen äu­ße­rer Er­schei­nung er nichts aus­zu­set­zen hat. Bis­marck zeigt sich noch im­mer amü­siert über den Aus­bruch Kin­kels aus ei­nem preu­ßi­schen Zucht­haus.

Der De­mo­krat und der Mon­ar­chist plau­dern über Po­li­tik, das ers­te Mal bei ei­ner Fla­sche Wein, das zwei­te Mal bei ei­nem Gläs­chen Apol­li­na­ris. Sie ver­glei­chen die USA mit Preu­ßen, und Bis­marck, schreibt Schurz, wun­dert sich, „daß eine mensch­li­che Ge­sell­schaft glück­lich und halb­wegs ge­ord­net sein kön­ne, wo die Macht der Re­gie­rung so be­schränkt sei und so we­nig Ehr­furcht vor den ein­ge­setz­ten Be­hör­den herr­sche“. Schurz kon­tert mit ei­ner Lek­ti­on über Frei­heit, in­dem er sagt, „daß das ame­ri­ka­ni­sche Volk sich kaum zu ei­nem so selbst­ver­trau­en­den, en­er­gi­schen, fort­schritt­li­chen Volk ent­wi­ckelt hät­te, wenn an je­der Pfüt­ze in Ame­ri­ka ein Ge­heim­rat oder ein Schutz­mann ge­stan­den hät­te, um die Leu­te da­vor zu be­wah­ren, hin­ein­zu­tre­ten“. Er ver­merkt ein herz­li­ches La­chen Bis­marcks.

Dann sagt Schurz den un­ge­heu­er klu­gen Satz, „daß in ei­ner 'we­nig-re­gier­ten' De­mo­kra­tie die Din­ge im ein­zel­nen schlecht, im gan­zen aber gut ge­hen könn­ten, wäh­rend in ei­ner Mon­ar­chie mit viel her­vor­tre­ten­der und all­ge­gen­wär­ti­ger 'Re­gie­run­g' die Din­ge im ein­zel­nen sehr glatt und gut, im gan­zen aber schlecht ge­hen könn­ten“. Das sind noch im­mer zeit­ge­mä­ße Wor­te an alle, die sich über das täg­li­che Kud­del­mud­del und die schein­ba­re In­ef­fi­zi­enz ih­rer De­mo­kra­tie em­pö­ren. Bis­marck re­agiert „sehr frap­piert“.

Schurz macht Kar­rie­re in der Po­li­tik. Von 1869 bis 1875 ver­tritt er Mis­sou­ri als Se­na­tor in Wa­shing­ton. Von 1877 bis 1881 ist er In­nen­mi­nis­ter der USA, re­for­miert den öf­fent­li­chen Dienst, küm­mert sich um In­dia­ner­fra­gen und be­för­dert, grund­deutsch, den Wald­schutz. Eine Ka­ri­ka­tur zeigt ihn als Ober­förs­ter. Sei­ne Frau Mar­ga­re­the hat den ers­ten Kin­der­gar­ten der USA ge­grün­det und macht dar­aus eine Be­we­gung. Ih­ret­we­gen sa­gen die Ame­ri­ka­ner bis heu­te „kin­der­gar­ten“.

Si­gel wird Stan­des­be­am­ter von New York. Struve geht nach ei­ner Am­nes­tie zu­rück nach Deutsch­land und ent­wi­ckelt sich zu ei­nem Ur­va­ter der Ve­ge­ta­ri­er. 1869 er­scheint sein Buch „Pflan­zen­kost. Die Grund­la­ge ei­ner neu­en Welt­an­schau­ung“. Deut­sche, klar, kön­nen aus al­lem eine Welt­an­schau­ung ma­chen.

Als Schurz 1906 in New York stirbt, schreibt sein Freund Mark Twain ei­nen Nach­ruf in „Har­per's Weekly“. Er nennt ihn den „Lot­sen“. Die USA ha­ben Schurz mit ih­rer größ­ten Aus­zeich­nung ge­ehrt: Er wur­de eine Fi­gur Hol­ly­woods. Der gro­ße Ed­ward G. Ro­bin­son spielt ihn in John Fords Wes­tern „Che­yenne“. Ein Denk­mal aus Bron­ze exis­tiert eben­falls, in New York. Für He­cker steht je ei­nes in Cin­cin­na­ti und St. Lou­is, für Si­gel in St. Lou­is und New York.

Bei all ih­ren Schwä­chen, Irr­tü­mern und Ver­stie­gen­hei­ten ste­hen die vier für das Edels­te, was in der po­li­ti­schen Ge­schich­te der Deut­schen zu fin­den ist: Frei­heits­drang, Staats­bür­ger­lich­keit, de­mo­kra­ti­sche Ge­sin­nung, Ge­rech­tig­keits­sinn, auf­ge­klär­te Wehr­haf­tig­keit. Sie ha­ben nicht ver­dient, dass sie von den Deut­schen ver­ges­sen wur­den.

War­um spie­len sie kei­ne Rol­le mehr? Viel­leicht, weil ihre Re­vo­lu­ti­on nicht er­folg­reich war. Viel­leicht, weil al­les, was den Ge­schichts­bruch von 1933 nicht ver­hin­dern konn­te, we­nig zählt. Viel­leicht auch, weil den Deut­schen die Frei­heit tra­di­tio­nell nicht so viel gilt wie den Ame­ri­ka­nern.

Das alte Zu­hau­se des Kar­tät­schen­prin­zen und Kai­sers Wil­helm I., das Ber­li­ner Stadt­schloss, wird ge­ra­de neu ge­baut. Kann man ja ma­chen. Aber auf den Schloss­platz ge­hört ein Denk­mal für He­cker, Schurz, Struve, Si­gel.

Forty-Eigh­ters He­cker, Struve, Si­gel(*) „Wir Deutsch-Ame­ri­ka­ner-Flücht­lin­ge.“

* Links: Holz­sti­che von 1849; rechts: Fo­to­gra­fie von 1860.

ÜBER DEN AUTOR

Dirk Kurbjuweit, Jahrgang 1962, studierte Volkswirtschaft und arbeitete von 1990 bis 1999 bei der „Zeit“. Dann wechselte er zum SPIEGEL, war Reporter, Autor und von 2007 bis 2011 Leiter des Hauptstadtbüros. Seit Anfang 2015 ist er stellvertretender Chefredakteur. Seit vielen Jahren befasst er sich aus privatem Interesse mit dem 19. Jahrhundert.

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