Deutsche waren Mitgründer der Republikanischen Partei, die sich jetzt Donald Trump zu Füßen legt. Eine deutsch-amerikanische Geschichte über Freiheitsdrang.
Als Carl Schurz zum ersten Mal auf Abraham Lincoln trifft, ist er überrascht: „Er trug“, schreibt Schurz, „auf seinem Kopfe einen etwas zerknitterten Zylinderhut. Sein langer, sehniger Hals ragte aus einem Hemdkragen empor, der über eine schmale, schwarze Halsbinde zurückgeklappt war.
Seine hagere, ungeschlachte Gestalt war von einem schwarzen, schon etwas schäbigen Frack bekleidet, mit Ärmeln, die länger hätten sein sollen. Seine schwarzen Beinkleider gestatteten den vollen Anblick seiner großen Füße.“
Schurz, geboren im rheinischen Liblar, ist „in Washington und im Westen Männern im öffentlichen Leben begegnet, deren Äußeres ungeschliffen war, doch keinem, dessen Erscheinung ganz so ungeschickt, um nicht zu sagen grotesk war, wie Lincolns“.
Jener Lincoln gilt heute als der größte Präsident, den die Vereinigten Staaten je hatten, weil er die Union im Kampf gegen die abtrünnigen Südstaaten zum Sieg führte. Sein Freund und Verbündeter war der Deutsche Carl Schurz. In einem Brief schrieb er später: „Man sagt mir nach, daß ich Lincoln zum Präsidenten gemacht.“ Kokett fügt er hinzu: „Das ist nun gewiss nicht wahr; aber daß man mir's nachsagt, zeigt wohl, daß ich Einiges dazu beitrug.“
Lincoln war 1860 und 1864 Kandidat der Republikaner, die sich nun, mehr als 150 Jahre später, anschicken, Donald Trump in diese Rolle zu wählen. So tief ist diese Partei gesunken. Sie war einst mit den edelsten Absichten gegründet worden: gegen die Sklaverei, für die Freiheit. Jetzt legt sie sich wahrscheinlich einem Mann zu Füßen, der sich rassistisch äußert und Politik nach Wirtshausart betreibt. Trump wird zum Totengräber dieser einst so stolzen Partei.
Deutschland geht das eine Menge an, nicht nur, weil wir in Zukunft in einer Trump-Welt leben könnten. Auch weil ein Teil der besten deutschen Traditionen in dieser republikanischen Partei steckt. Das liegt an Carl Schurz, aber auch an Friedrich Hecker, Gustav Struve, Franz Sigel. Leider ist das weitgehend vergessen, so wie diese hervorragenden Männer weitgehend vergessen sind.
Als Freiheitshelden verehren die Deutschen Stauffenberg, die Geschwister Scholl oder den Kreisauer Kreis, den Widerstand gegen Hitler also. Aber es gab schon davor ungestümen Freiheitsdrang in Deutschland, beim Revolutionsversuch von 1848, an dem Schurz, Hecker, Struve, Sigel beteiligt waren. Danach emigrierten sie in die USA und kämpften ein zweites Mal für die Freiheit, diesmal nicht für die eigene, sondern für die der Sklaven, als Mitgründer oder frühe Aktivisten der Republikanischen Partei. Im Bürgerkrieg waren alle vier Offiziere der Union. Ihre Lebensgeschichten sind deutsch-amerikanische Erzählungen über Freiheitsdrang und Demokratie.
Friedrich Hecker, geboren 1811, arbeitet als Jurist und Politiker im Großherzogtum Baden, als im Februar 1848 eine Revolution in Frankreich ausbricht. Der Funke springt über den Rhein, Hecker will Demokratie und Freiheit nun auch in seiner Heimat durchsetzen, wie viele andere Deutsche. Mit Gustav Struve, geboren 1805, ebenfalls Jurist und Politiker, zieht er ins Frankfurter Vorparlament ein, aber schon bald wieder aus, weil die Mehrheit nicht so radikal ist wie er und Struve.
Am 12. April ruft Hecker in Konstanz zu einem Revolutionszug auf. Mit bis zu 80 000 Kämpfern haben er und Struve gerechnet. Als Hecker am Tag darauf einen Marsch auf die badische Residenzstadt Karlsruhe beginnt, folgen ihm Photo: Carl Schurz 52 Männer, berichtet Struve in seiner „Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden“. Den Bürgern ist das Herz in die Hose gerutscht. Struve: „Jetzt machten wir aber freilich die leidige Erfahrung, daß viele von Denjenigen, welche früher am meisten geschrieen und getrieben hatten, sehr kleinlaut geworden waren.“
Ein paar Hundert Bauern und Bürger schließen sich unterwegs noch an, aber das reicht nicht. Bei Kandern unterliegt Heckers kleiner Trupp bei einem Scharmützel Regierungssoldaten. Hecker flieht über den Rhein. Nicht besser ergeht es Struve und dem ehemaligen Leutnant Franz Sigel, geboren 1824, als sie Freiburg erobern wollen. Auch sie müssen fliehen.
Am 21. September 1848 macht Struve einen neuen Versuch und ruft in Lörrach die Republik aus. Wieder ist der Rückhalt zu schwach. So richtig freiheitsbeseelt sind die Deutschen nicht. Am liebsten wäre ihnen, die Fürsten hätten die Revolution genehmigt. Haben sie aber nicht. Struve landet im Kerker, wird jedoch befreit.
Im Frühling 1849 nimmt die deutsche Revolution einen neuen Anlauf. In Bonn schließt sich Carl Schurz, geboren 1829, Student, den 120 Bürgern an, die das Siegburger Zeughaus stürmen wollen, um Waffen für den Kampf gegen die preußischen Regierungstruppen einzusammeln. „Ich ließ alles liegen, wie es eben lag, kehrte der Vergangenheit den Rücken und ging meinem Schicksal entgegen“, schreibt er in seinen „Lebenserinnerungen“, die der Wallstein Verlag im vergangenen Herbst in einer wunderschönen Ausgabe neu herausgegeben hat. Es ist ein großer Satz über die Kraft der Freiheit. Für sie riskiert Schurz alles.
Der Marsch nach Siegburg wird ein Desaster. Die Aufständischen sind von 34 heranreitenden Dragonern so verschreckt, dass sie ihren Plan aufgeben. „Ein lächerlicher, schmachvoller Ausgang“, schreibt Schurz. Ein Zurück in das alte Leben gibt es für ihn nicht mehr. Er wandert erst in die Pfalz und dann ins badische Rastatt, die letzte Bastion der Revolution. Die Stadt wird bald von den Preußen belagert, unter Führung des „Kartätschenprinzen“ Wilhelm, später der erste deutsche Kaiser. Am 23. Juli geben die Revolutionäre auf, Schurz flieht durch einen Abwasserkanal und landet im Schweizer Exil.
Es fällt ihm nicht ein, hier zu vergammeln. Als er hört, dass sein Universitätslehrer Gottfried Kinkel wegen revolutionärer Umtriebe im Spandauer Zuchthaus gelandet ist, riskiert er wieder alles, diesmal für die Freiheit von Kinkel. Er reist inkognito nach Preußen, wo ihm die Todesstrafe droht, und lässt Geld sammeln, um Kinkel zu befreien. Damit besticht er den Gefängniswärter Georg Brune. Kinkel und Schurz fliehen über das Meer und landen zunächst in Edinburgh, dann in London. Schurz zieht weiter in die USA. Hecker, Struve und Sigel sind schon dort.
Schurz reist bald nach Washington und sieht sich im Kongress um. Er stellt fest: „Leider war das Kauen von Tabak mit seinen Begleiterscheinungen noch sehr gebräuchlich.“ Zudem: „Rekeln auf zurückgewippten Stühlen und das Auflegen der Füße auf das Pult“. Amerikanische Freiheiten, für Deutsche manchmal befremdlich.
In seinen Erinnerungen analysiert Schurz Politik und Bürokratie in den USA und wirkt in diesen Passagen wie ein kleiner Tocqueville. Alexis de Tocquevilles Analyse von 1835 „Über die Demokratie in Amerika“ aus französischer Sicht ist bis heute ein Standardwerk. Schurz findet, dass der öffentliche Dienst in einem liederlichen Zustand ist.
Im Oktober 1854 besucht er den ehemaligen Revolutionsführer Hecker in dessen „Blockhaus von sehr primitivem Aussehen“ in Belleville, Illinois. Hecker ist einer der „Latin farmers“ geworden, einer der Immigranten, die hochgebildet sind und Lateinisch sprechen können, sich im Exil aber mit dem Ackerbau abplagen müssen, um über die Runden zu kommen.
Der einst so schmucke Hecker, der für seinen Federhut und die hohen Stiefel berühmt war, bietet einen „kläglichen Anblick“, schreibt Schurz. Er sieht „ein grauwollenes Hemd, lose, abgetragene Beinkleider und ein paar alte Teppichpantoffeln“. Das Gesicht findet er „eingefallen, blaß und müde“. Der Star der deutschen Revolution, über den man in der Heimat Lieder singt, ist zur traurigen Figur verkommen.
So bleibt es nicht. Den deutschen Forty-Eighters, wie sie in den USA genannt werden, den Achtundvierzigern, wächst just zu jener Zeit eine neue Aufgabe zu. Wieder ist ihr Freiheitsdrang gefordert.
Die Südstaaten betreiben Sklaverei, die Nordstaaten nicht. Was ist mit den Territorien, die im Westen Amerikas neu erschlossen werden? Das Kansas-Nebraska-Gesetz sagt: Die Sklaverei ist auch hier erlaubt. Nun reicht es vielen im Norden. Sie gründen eine neue Partei, die Republikaner. Die Forty-Eighters sind dabei.
Hecker schreibt einem Bekannten: „Wir Deutsch-Amerikaner-Flüchtlinge können nicht für die Ausbreitung der Sklaverei gehen; wir beschimpfen unsere Vergangenheit, die Fahne unter der wir gefochten und unsere Brüder gestorben sind, wir entehren die Gräber unserer standrechtlich Gemordeten.“ Den Brief hat Sabine Freitag für ihre Dissertation „Friedrich Hecker. Biographie eines Republikaners“ ausgegraben.
Rund drei Millionen Deutsche leben zu jener Zeit in den USA. Hecker und Schurz sollen sie für die Republikaner gewinnen. Sie reisen durch den Mittleren Westen und den Norden und halten Reden vor Hunderten, vor Tausenden. Hecker, schon seit Studentenzeiten „der krasse Hecker“ genannt, ist sich nicht zu schade, zusammen mit dem Immigranten Gustav Körner aufzutreten. Als Studenten hatten sie sich duelliert. Jetzt zählt nur noch die Partei. Schurz: „Ich glaube, es kann ohne Übertreibung gesagt werden, daß es niemals in der Geschichte dieser Republik eine politische Bewegung gegeben hat, in welcher das rein moralische Motiv so stark – ja so vorherrschend und entscheidend war.“ Von den Republikanern ist die Rede. Kaum zu glauben.
Aber die Partei in Gründung macht es den Deutschen nicht leicht. Sie hat einen nativistischen Flügel von in den USA geborenen Nichtkatholiken, die sich von den Immigranten überfremdet fühlen. Die Probleme sind offenbar in allen Zeiten ähnlich. Die Deutschen sind nicht besonders assimilierungswillig, sie sprechen gern deutsch miteinander und lesen deutschsprachige Zeitungen, das „Belleviller Volksblatt“, die „Illinois Staatszeitung“, die „New Yorker Abendzeitung“, den „Anzeiger des Westens“ in St. Louis.
Die darüber empörten Nativisten der Republikanischen Partei organisieren sich in Logen und nennen sich die Know-Nothings, denn das soll ihre Antwort sein, würden sie nach ihren Umtrieben befragt: I know nothing, ich weiß nichts. Es gibt eine fremdenfeindliche Tradition, in der der Know-Nothing Trump steht.
Die Forty-Eighters lassen sich nicht beirren. „Zum Maulkorb ist meine Schnautze zu ungestaltet“, schreibt Hecker später an Schurz. Sein Blockhaus brennt zum Teil nieder. Er vermutet Brandstiftung, ob von Anhängern der Demokraten, die für die Sklaverei eintreten, oder von Know-Nothings, weiß man nicht.
Im Jahr 1860 ziehen die Forty-Eighters für Abraham Lincoln in den Wahlkampf. Kurz nach seinem Sieg belagern Rebellen das Bundesfort Sumter in South Carolina, der Bürgerkrieg bricht aus, elf Südstaaten gegen die Union, Freunde der Sklaverei gegen Freunde der Freiheit für alle.
Für die Forty-Eighters ist klar, was sie zu tun haben. Friedrich Hecker verlässt seine Farm in Belleville und wird Soldat. Franz Sigel, der Oberlehrer ist, verlässt seine Schulen in St. Louis und wird wieder Soldat. Gustav Struve, der an einer „Weltgeschichte“ aus sozialistischer Sicht schreibt, lässt die Feder fallen und wird Soldat. Carl Schurz, der von Lincoln zum Botschafter der USA in Spanien ernannt wurde, hält es dort nicht lange aus und wird Soldat. Sie sind jetzt Yankees, also Kämpfer für die Union. Diesen Deutschen ist klar, dass Menschenrechte nichts taugen, wenn sie nicht für alle Menschen gelten.
Über 200 000 Deutschstämmige sollen aufseiten der Union gefochten haben. Hecker führt erst das 24. Illinois Regiment, dann das 82. Illinois Regiment. Es ist Teil des XI. Infanteriekorps der Army of the Potomac, das zeitweise von Generalmajor Franz Sigel kommandiert wird. Die 3. Division des Korps befehligt Brigadegeneral Carl Schurz, später ebenfalls Generalmajor. Viele ihrer Männer sind Deutsche.
Die Soldaten singen auf ihren Märschen ein Lied in einem herzzerreißenden Denglisch, avant la lettre. Es heißt: „I'M GOING TO FIGHT MIT SIGEL“, ich kämpfe für Sigel. Auszug aus dem Text, der in genau dieser Orthografie aufgeschrieben wurde:
„Dem Deutshen mens, mit Sigel's band,
At fighting have no rival,
Un ven Cheff Davis' mens we meet,
Ve schlauch' em like de tuyvil;
Dere's only von ting vot I fear,
Ven pattling for de Eagle,
I vont get not no lager bier,
Ven I goes to fight mit Sigel.“
Jefferson Davis ist der Gegenpräsident der Südstaaten, der Eagle, der Adler, das Zeichen der Union. Den Rest muss man sich zusammenreimen. Ist klar, dass die Deutschen nur eine Sache fürchten: dass es kein Bier gibt. Doch jetzt kommt die Überraschung: Diese Männer passen nicht in das ewige Heldenlied, das auf deutsche Soldaten gesungen wird. Nach der verlorenen Schlacht von Chancellorsville im Mai 1863 verbreitet sich der Verdacht, das XI. Infanteriekorps habe sich zu defensiv verhalten. Es ist nicht zu klären, ob dies die Wahrheit oder eine Intrige nativistischer Generäle ist. Die Dutchmen, damals ein Wort für Deutsche, gelten ihnen nun als „running dutchmen“.
Schurz und Sigel leiden wie Hunde unter dieser Unterstellung. Hecker ist durch eine Verwundung am Bein gerechtfertigt, die er sich in der Schlacht von Chancellorsville zugezogen hat. Schurz schildert die Situation so: „Mein alter Freund aus den Revolutionstagen, Oberst Hecker, hatte die Fahne seines Regiments ergriffen, um einen Angriff mit gefälltem Bajonett anzuführen; auch er wurde von einer feindlichen Kugel getroffen und verwundet hinter die Front getragen.“ Ein bisschen geflunkert ist das schon. In der Revolutionszeit kannten sich Schurz und Hecker nicht.
Bei der Schlacht von Gettysburg sind beide wieder an der Front. Die Unionsarmee siegt, siegt auch bei Chattanooga, wo heute Volkswagen eine arg gebeutelte Fabrik betreibt, sie nimmt Atlanta und die Hauptstadt Richmond ein. Anfang April 1865 ist der Süden geschlagen. Am 14. April erschießt der Schauspieler John Wilkes Booth den Präsidenten Abraham Lincoln in einem Theater von Washington, D. C. Doch die USA sind wieder vereint.
Für die Forty-Eighters geht der Kampf weiter. Die Freiheit bleibt bedroht, nun ist es die Freiheit zum Biertrinken. Die Temperenzler setzen den Deutschen zu, puritanische Amerikaner, die den Genuss von Alkohol verbieten wollen. Naturgemäß haben einige Deutsche in den USA sofort Brauereien gegründet. Auch dieser Kampf wird zunächst gewonnen. Als die Republikaner immer konservativer werden, engagieren sich Hecker und Schurz für eine liberale Plattform in der Partei. Was heute ebenfalls eine Wohltat wäre.
Hecker kehrt auf seine Farm zurück und tingelt nebenbei als Redner durchs Land. In seinem Vortrag „Weiblichkeit und Weiberrechtelei“ polemisiert er gegen politische Rechte für Frauen. Die Welt der Politik ist damals nur eine halbe. Mit Ausnahmen. Struve war mit seiner Frau Amalie in die badische Revolution gezogen und sprach sich für das Frauenwahlrecht aus.
Schurz reist 1867/68 nach Deutschland und trifft zweimal den preußischen Ministerpräsidenten Bismarck, an dessen äußerer Erscheinung er nichts auszusetzen hat. Bismarck zeigt sich noch immer amüsiert über den Ausbruch Kinkels aus einem preußischen Zuchthaus.
Der Demokrat und der Monarchist plaudern über Politik, das erste Mal bei einer Flasche Wein, das zweite Mal bei einem Gläschen Apollinaris. Sie vergleichen die USA mit Preußen, und Bismarck, schreibt Schurz, wundert sich, „daß eine menschliche Gesellschaft glücklich und halbwegs geordnet sein könne, wo die Macht der Regierung so beschränkt sei und so wenig Ehrfurcht vor den eingesetzten Behörden herrsche“. Schurz kontert mit einer Lektion über Freiheit, indem er sagt, „daß das amerikanische Volk sich kaum zu einem so selbstvertrauenden, energischen, fortschrittlichen Volk entwickelt hätte, wenn an jeder Pfütze in Amerika ein Geheimrat oder ein Schutzmann gestanden hätte, um die Leute davor zu bewahren, hineinzutreten“. Er vermerkt ein herzliches Lachen Bismarcks.
Dann sagt Schurz den ungeheuer klugen Satz, „daß in einer 'wenig-regierten' Demokratie die Dinge im einzelnen schlecht, im ganzen aber gut gehen könnten, während in einer Monarchie mit viel hervortretender und allgegenwärtiger 'Regierung' die Dinge im einzelnen sehr glatt und gut, im ganzen aber schlecht gehen könnten“. Das sind noch immer zeitgemäße Worte an alle, die sich über das tägliche Kuddelmuddel und die scheinbare Ineffizienz ihrer Demokratie empören. Bismarck reagiert „sehr frappiert“.
Schurz macht Karriere in der Politik. Von 1869 bis 1875 vertritt er Missouri als Senator in Washington. Von 1877 bis 1881 ist er Innenminister der USA, reformiert den öffentlichen Dienst, kümmert sich um Indianerfragen und befördert, grunddeutsch, den Waldschutz. Eine Karikatur zeigt ihn als Oberförster. Seine Frau Margarethe hat den ersten Kindergarten der USA gegründet und macht daraus eine Bewegung. Ihretwegen sagen die Amerikaner bis heute „kindergarten“.
Sigel wird Standesbeamter von New York. Struve geht nach einer Amnestie zurück nach Deutschland und entwickelt sich zu einem Urvater der Vegetarier. 1869 erscheint sein Buch „Pflanzenkost. Die Grundlage einer neuen Weltanschauung“. Deutsche, klar, können aus allem eine Weltanschauung machen.
Als Schurz 1906 in New York stirbt, schreibt sein Freund Mark Twain einen Nachruf in „Harper's Weekly“. Er nennt ihn den „Lotsen“. Die USA haben Schurz mit ihrer größten Auszeichnung geehrt: Er wurde eine Figur Hollywoods. Der große Edward G. Robinson spielt ihn in John Fords Western „Cheyenne“. Ein Denkmal aus Bronze existiert ebenfalls, in New York. Für Hecker steht je eines in Cincinnati und St. Louis, für Sigel in St. Louis und New York.
Bei all ihren Schwächen, Irrtümern und Verstiegenheiten stehen die vier für das Edelste, was in der politischen Geschichte der Deutschen zu finden ist: Freiheitsdrang, Staatsbürgerlichkeit, demokratische Gesinnung, Gerechtigkeitssinn, aufgeklärte Wehrhaftigkeit. Sie haben nicht verdient, dass sie von den Deutschen vergessen wurden.
Warum spielen sie keine Rolle mehr? Vielleicht, weil ihre Revolution nicht erfolgreich war. Vielleicht, weil alles, was den Geschichtsbruch von 1933 nicht verhindern konnte, wenig zählt. Vielleicht auch, weil den Deutschen die Freiheit traditionell nicht so viel gilt wie den Amerikanern.
Das alte Zuhause des Kartätschenprinzen und Kaisers Wilhelm I., das Berliner Stadtschloss, wird gerade neu gebaut. Kann man ja machen. Aber auf den Schlossplatz gehört ein Denkmal für Hecker, Schurz, Struve, Sigel.
Forty-Eighters Hecker, Struve, Sigel(*) „Wir Deutsch-Amerikaner-Flüchtlinge.“
* Links: Holzstiche von 1849; rechts: Fotografie von 1860.
Dirk Kurbjuweit, Jahrgang 1962, studierte Volkswirtschaft und arbeitete von 1990 bis 1999 bei der „Zeit“. Dann wechselte er zum SPIEGEL, war Reporter, Autor und von 2007 bis 2011 Leiter des Hauptstadtbüros. Seit Anfang 2015 ist er stellvertretender Chefredakteur. Seit vielen Jahren befasst er sich aus privatem Interesse mit dem 19. Jahrhundert.